50 years of “Horses“

“All the wisdom of the universe can be found between the eyes of the horse.”
– Koran

50 years of Horses

on Arthur Rimbaud’s passing day

Am 10. November 1975, dem Todestag von Arthur Rimbaud – jenem Dichter, dessen Geist sich durch Pattis Werk zieht, wurde das Debütalbum Horses veröffentlicht. Dieses Meisterwerk veränderte die Musiklandschaft nachhaltig. Mit einer einzigartigen Mischung aus Poesie und Rock, produziert von John Cale, setzte das Album neue Maßstäbe und gilt heute als Meilenstein des Punk und der alternativen Musikszene.

Patti kam aus einer neuen Richtung: Für sie stand das Schreiben über der Musik. Ihre Texte waren keine klassischen Songlyrics, sondern poetische Statements, beeinflusst von französischen Symbolisten wie Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud sowie von William Blake, Allen Ginsberg, Jean Genet und William S. Burroughs. Es gab zwar einige Musiker in der Folkszene, die eher Dichter als Singer-Songwriter waren – etwa Bob Dylan, Leonard Cohen und Joni Mitchell – und im Rock kamen Lou Reed und Jim Morrison dem am nächsten. Doch mit Pattis Sprechgesang und freier Versdichtung wurde die Rock-Lyrik auf eine neue Ebene gehoben: roh, literarisch, kompromisslos.

Entstehung und Aufnahme

Horses wurde zwischen August und September 1975 in den Electric Lady Studios in New York City aufgenommen. Die Band bestand aus Gitarrist Lenny Kaye, Keyboarder Richard Sohl, Schlagzeuger Jay Dee Daugherty, Bassist Ivan Král, sowie den Gastmusikern Gitarrist Tom Verlaine von Television für Break it up und Gitarrist Allen Lanier für Elegie.

Die Produktion übernahm John Cale, bekannt als Mitglied von The Velvet Underground. Die Electric Lady Studios, von Jimi Hendrix gegründet, waren für Patti ein Ort voller Bedeutung. „Ich betrat das Studio A. John Cale, unser Produzent, saß am Mischpult, und im Aufnahmeraum bauten Lenny, Richard, Ivan und Jay Dee ihr Equipment auf“, erinnert sich Patti in ihren Memoiren Just Kids.

Die Aufnahmen zu Horses fanden in einer intensiven, kreativen Atmosphäre statt und dauerten etwa fünf Wochen. Patti war entschlossen, die rohe Energie ihrer Live-Auftritte einzufangen. „Wir wollten die Spontaneität unserer Konzerte auf Vinyl bannen“, sagte sie später. Sie erinnert sich in Just Kids an eine besondere Nacht während der Sessions: „Es war eine stürmische Nacht. Draußen tobte ein Gewitter, und der Regen prasselte gegen die Fenster des Studios. Drinnen arbeiteten wir unermüdlich weiter. Die Energie des Sturms schien sich mit unserer Musik zu verbinden, als ob die Natur selbst Teil des Aufnahmeprozesses wäre.“

Diese nächtlichen Sessions waren geprägt von einer Mischung aus Erschöpfung und Euphorie. Patti beschreibt in Just Kids, wie sie und ihre Bandkollegen oft bis in die frühen Morgenstunden arbeiteten, getrieben von dem Wunsch, etwas Einzigartiges zu erschaffen.

Der Produzent John Cale produzierte Horses bewusst roh, um die ungestüme Energie von Patti und ihrer Band einzufangen. Patti sagte später über die Zusammenarbeit mit Cale: „Es war wie eine Saison in der Hölle. Er war ein Kämpfer, und ich auch, also kämpften wir.“ Trotz der Spannungen erkannte Patti den Wert der Zusammenarbeit: „Seine Produktion holte das Beste aus unseren jugendlichen und ehrlichen Fehlern heraus.“

Am Ende entstand nicht nur ein Album, sondern ein Meilenstein der Rockgeschichte.

Patti Smith Album-Cover Horses. Das Bild von ihr ist in graustufen und zeigt sie in jungen Jahren. Sie trägt eine weiße Bluse und eine schwarze Hose mit Hosenträgern. Über ihrer linken Schulter liegt ihr Sakko, welches sie mit ihrer linken Hand festhält.

Albumcover Horses, 1975, Foto: Robert Mapplethorpe

Das ikonische Coverfoto

Das Cover von Horses ist ebenso legendär wie die Musik selbst: Patti in einem weißen Männerhemd, einer schwarzen Krawatte und einem Jackett über der Schulter – androgyn, unaufgeregt und kompromisslos sie selbst. Fotografiert wurde es von Robert Mapplethorpe, ihrem engsten Vertrauten, der sie nicht nur sah, sondern verstand.

„Wir hatten beschlossen, dass Robert mein Bild machen würde. Er würde mich fotografieren, ich würde über ihn schreiben. Wir würden etwas gemeinsam erschaffen… Ich hatte keine Vorstellung davon, wie es aussehen würde, nur dass es wahrhaftig sein sollte. Das Einzige, was ich Robert versprach, war, ein sauberes Hemd ohne Flecken zu tragen.“ (Just Kids)

Das Fotoshooting fand in einem kleinen Loft im Greenwich Village statt – vor einer schlichten weißen Wand, mit natürlichem Licht, fast beiläufig inszeniert.

Patti trug ein frisch gereinigtes weißes Hemd aus einem Secondhand-Laden und eine schwarze Schleife, inspiriert von Baudelaire und Sinatra. Die Jacke über ihrer Schulter gehörte Robert. „Ich ging zur Salvation Army im Bowery und kaufte einen Stapel weißer Hemden … Robert wollte das Foto bei Sam Wagstaff machen, weil dessen Penthouse in der One Fifth Avenue in natürliches Licht getaucht war. Das Eckfenster bildete ein Dreieck aus Licht, und Robert wollte dieses Licht für das Foto nutzen … Sams Wohnung war spartanisch eingerichtet, ganz in Weiß und fast leer, mit einem hohen Avocadobaum am Fenster mit Blick auf die Fifth Avenue … Ich warf mir die Jacke über die Schulter, ganz im Stil von Frank Sinatra … Robert machte an diesem Tag zwölf Bilder … Wenige Tage später zeigte er mir den Kontaktabzug. ‘Dieses hier hat die Magie‘, sagte er.“ (Just Kids)

Die entstandene Aufnahme wurde nicht nur das Cover von Horses, sondern ein Manifest. Patti schaut direkt in die Kamera – ruhig, selbstbestimmt, zwischen maskulin und feminin, jenseits gängiger Rollenbilder. „Wenn ich es heute betrachte, sehe ich nie mich. Ich sehe uns.“ (Just Kids) Sie betonte später, dass sie kein großes Statement beabsichtigte: „Ich wollte einfach nur ehrlich sein. Ich kleide mich gerne wie Baudelaire.“

Das Foto wurde zu einem Symbol für eine neue künstlerische Haltung, in der persönliche Wahrheit über Image stand. Es hängt heute unter anderem in der Tate Gallery in London – nicht nur als Albumcover, sondern als Kunstwerk.

Einfluss und Vermächtnis

Horses wurde von der Kritik gefeiert und beeinflusste zahlreiche Künstlerinnen und Künstler. Das Album verbindet Spoken-Word-Poesie mit Rockmusik und behandelt Themen wie Identität, Sexualität und gesellschaftliche Normen.

Gloria: Der erste Track des Albums ist die Coverversion des Songs von Van Morrison und beginnt mit der Zeile „Jesus died for somebody’s sins but not mine“, einer kraftvollen Aussage, die durch Pattis poetische Einflüsse ihre Haltung gegenüber Konventionen unterstreicht.

Redondo Beach: Ein Reggae-inspirierter Track, der von einem Streit mit ihrer Schwester erzählt. Der Song thematisiert Verlust und Schuldgefühle.

Birdland: Ein neuneinhalbminütiges Stück, inspiriert von Peter Reichs A Book of Dreams. Patti kombiniert hier Spoken Word mit Jazz-Elementen, um eine Geschichte zu verweben, die auf Reichs Kindheitserinnerung basiert – der Sehnsucht nach seinem verstorbenen Vater und dem Bild eines UFOs, das ihn zu ihm holen könnte. Sie macht diese Erzählung zu ihrer eigenen, verwandelt das Gefühl von Fremdheit und Anderssein in eine persönliche Vision. Vom „Du bist nicht menschlich“ zum „Ich bin nicht menschlich“ wächst ein kollektives „Wir“ – ein hymnischer Ruf der Außenseiter und Träumer.

Free Money: Ein energiegeladener Rocksong, der von Pattis Kindheit in New Jersey inspiriert ist. Dieser Song, welchen Patti für ihre Mutter schrieb, drückt den Wunsch nach finanzieller Freiheit und einem besseren Leben aus.

Kimberly: Ein Lied über Pattis jüngere Schwester, das familiäre Bindungen und Schutz thematisiert. Musikalisch zeichnet es sich durch eine luftige Basslinie und eingängige Rhythmen aus.

Break It Up: Co-geschrieben mit Tom Verlaine, ist dieser Song eine Hommage an Jim Morrison. Patti beschreibt einen Traum, in dem Morrison versucht zu fliegen, was den Wunsch nach Befreiung symbolisiert.

Land: Das Herzstück des Albums, ein über neun Minuten langes Epos, das Elemente von Chris Kenners Land of a Thousand Dances integriert. Patti erzählt die Geschichte von Johnny, einem Jungen, der Gewalt und Selbstfindung erlebt. Der Song ist reich an literarischen Referenzen, darunter William S. Burroughs und Arthur Rimbaud.

Elegie: Ein melancholischer Abschluss – Pattis Abschied an Jimi Hendrix, eine leise Hommage an den Musiker und seine poetische Seele. Patti traf Hendrix kurz vor seinem Tod auf den Treppen der Electric Lady Studios. Als letzter Titel auf Horses beschließt es das Album mit dem Gefühl von Verlust und stiller Verbundenheit.

Horses wird als eines der 100 besten Alben aller Zeiten gefeiert.

Wenn Patti das epische Stück Land performt, wie hier im Video aus Le Grand Rex in Paris 2021, entsteht ein Moment, der Generationen verbindet – zeitlos und intensiv. Auch das Foto ihrer Geburtstagsshow 2023 in der Brooklyn Steel erzählt davon: Im Hintergrund bildet das ikonische Horses-Cover eine stille, eindrucksvolle Kulisse.

Live-Performance Land, Le Grand Rex, Paris 2021

Bild von Patti Smith Geburtstagshow im Brooklyn Steel 2023. Im Hintergrund das Horses-Cover-Foto

Patti Smith and Her Band performten Land auf ihrer Geburtstagsshow in Brooklyn Steel, NY, 2023

50-jähriges Jubiläum

Zum 50. Jubiläum von Horses ist Patti seit Oktober 2025 auf Tournee und spielt das Album in voller Länge. Begleitet wird sie von den Originalbandmitgliedern Lenny Kaye und Jay Dee Daugherty sowie von Tony Shanahan und ihrem Sohn Jackson Smith. In Gastauftritten ist unter anderem ihre Tochter Jesse Paris Smith zu sehen. Die Tour führte von europäischen Städten wie Dublin, Madrid, Brüssel und Paris nun in die USA, wo die Band unter anderem in Seattle, San Francisco, Chicago und New York City auftreten wird.

Horses bleibt ein zeitloses Werk, das die Grenzen von Musik, Poesie und Kunst überschreitet. Pattis Debütalbum ist nicht nur ein musikalisches Meisterwerk, sondern auch ein kulturelles Statement, das auch nach 50 Jahren nichts von seiner Relevanz verloren hat.

Happy Birthday,
“…Horses, Horses, Horses, Horses…”

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